Die Gassen in Alt-Varanasi, also hinter den Ghats, bieten nicht viel Platz, oft entstehen Staus, ausgelöst durch große Pilgergruppen, Kühe, Hunde, frische Scheisse, den Müllabfuhrwagen oder die Mopeds. Ich bin mittlerweile ein Künstler im Durchschlängeln, Beiseitespringen, auf Zehenspitzen um frisch verteilte Kuhscheiße herum balancieren und roten Spuckeströmen ausweichen, die blitzartig aus dem Nichts auf einem zukommen.
Anfangs dachte ich noch: warum guckt der Mann so böse? Jetzt weiß ich, dass er seinen Mund geschlossen halten muss, weil sich da die rote Brühe vom Betel (oder Paan) sammelt. Reden ist damit fast unmöglich, d.h. Reden schon, nur Verstehen geht nicht. Und der Blick in die „blutigen Münder“ mit halb verfaulten Zähnen ist auch nicht gerade ein berauschender Anblick. Und man kann ja wirklich nicht erwarten, dass die Leute das wertvolle Rauschmittel ausspucken!! Wahnsinn, wie viele Leute sich das bittere Paan hier in den Mund stopfen. Ansonsten kennt man das eher von der Landbevölkerung.
Ein weiterer interessanter Wesenszug ist das „Nicht-Warten-Können“ und die Rücksichtnahme. Letztes ist nur dann sehen, wenn die Männer ihre Mütter vorsichtig durch die Gassen geleiten.
Egal ob abzusehen ist, dass 2 m weiter vorne kein Durchkommen ist, man fährt bis nach vorne vor, und dann geht zuerst (!) gar nichts mehr. Daraufhin erfolgt ein indischer Trick, den ich noch nicht durchschaut habe, und nach einer geraumen Weile schaffen sie es, irgendwie aneinander vorbei zu kommen.
Auch ist es hierzulande nicht bekannt, dass man erst ein Ding leeren muss bevor man es wieder füllen kann – ich denke da an Bus und Bahn – die Briten haben sich da mit ihrem Vorbild des Schlangestehens jedenfalls nicht durchgesetzt. Aber so etwas wissen die Indonesier auch nicht! Es bleibt weiterhin ein Hauen und Stechen, und jeder ist sich selbst der Nächste.
Warum können die Europäer nicht so auf ihren Fersen sitzen wie die Inder? Nach 30 Jahren habe ich darauf endlich eine befriedigende Antwort erhalten: weil die Europäer dicke Waden haben! (Indische Waden sind eigentlich nicht vorhanden).
Die armen Inder haben keinen Hörsinn, dafür aber ein unglaubliches „Organ„, wie die Saarländer sagen. Und die Sprache Hindi eignet sich hervorragend zum Schreien, auf Deutsch geht das nur halb so laut. (Hab ich ausprobiert). Alles ist laut hier, einige Mopedhupen durchbrechen fast die Schallmauer! Das viele Gehupe stresst einem schon sehr, aber glücklicherweise kann man in Varanasi ja auf die beschaulichen Ghats ausweichen.
An den Ghats und Tempeln hält jeder Zweite seine Hand auf. Einmal drückte ich einem dünnen Sadhu eine Packung mit Reis und Gemüse in die Hand, worauf er gleich die andere hob und Geld wollte. Ich war schon am Davoneilen, ärgerte mich dann aber so darüber, dass ich zurückging, nochmal nachfragte, Geld willst du auch noch? Ja. Daraufhin riss ich ihm die Fresstüte wieder vom Schoß und gab sie einem Behinderten. Das hat mich echt fast zur Weißglut gebracht. Mit den „Sadhus“ (und Gurus) hab ich es eh nicht so.
Und wenn der Gruß Namaste ertönt, kann man sicher sein, dass es sich um einen Händler oder Bootsmann handelt, der ein Geschäft machen will. Grüßen wie bei uns ist eher die Seltheit.
Nichts desto trotz sind die Inder ein wirklich hilfsbereites Volk, vor allem sind sie Meister im Lösen aller aufkommenden Probleme, wenn auch die Varianten für uns oft nicht nachvollziehbar sind.
Noch eine schöne Geschichte:
In einer engen Gassenecke vor unserem Guesthouse sitzt immer ein Mann auf dem Plastikstuhl. Neugierig wie ich bin fragte ich ihn, was er da mache. Roter Mund, ein Englisch. Gestern fragte ich die Jungs vom Getränkeshop, was der Mann da jeden Tag mache. „Because of Pishing„. Was??? Dann klärte sich, dass „phishing – making pie“ heißt. Also, dieser Mann hindert die Inder daran, dass sie in dieser Ecke an die Mauer pissen. Er wird vom Guesthouse bezahlt, da das der enge Weg ist, den die Touristen immer mit ihrem Gepäck nehmen müssen. Ich habe mich fast totgelacht. This is India!!!
Die zweite Woche Varanasi war dann generell recht busy! Die Zeit raste.
Ich genoß die Verabredungen mit Günther aus Darmstadt, mit Sineke aus Holland, mit meinem Musiker Anshu. Hinzu kam ein kleines Musikfestival, Ausflüge zum Frauencollege, wo Anshu Gitarre unterrichtet, zum Uni-Gelände, einer grünen sauberen Stadt in der Stadt Varanasi. Wie in einer anderen Welt war es dort. Sineke und ich besuchten den Bereich der musischen Künste und konnten bei Tanz- und Musikproben zuschauen!
Als Abschlussabend veranstaltete Anshu mit seinem Bruder ein Hauskonzert. Es war ein netter Abend mit einer tollen Performance – teilweise sangen sogar Anshus Schwester und Schwägerin mit.